Flachs als Lebensversicherung

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Nicht heimlich still und leise, sondern mit großem Hofstaat wurden der Hausrat und auch die Aussteuertruhen der Braut am Tag der Hochzeit zum neuen Zuhause der Brautleute gebracht. Bis in die 60er Jahre des letzten Jahhunderts war es im Mühlviertel üblich, dass die Braut zur Hochzeit von ihrer Familie mit Flachs und Leinen beschenkt wurde. Es war ein Schatz, ihr ganz persönlicher Besitz, eine Lebensversicherung, die die Frau einlösen konnte wenn die Not am größten war.

Das ist wohl auch der Grund, warum bis heute viele dieser Truhen unberührt in Dachböden und Kellern stehen. Die Not war glücklicherweise nicht groß genung oder die Mitgift zu emotional behaftet, um den Flachs, als er nichts mehr Wert war, zu entsorgen. Und so warten bis heute viele Truhen versteckt darauf noch einmal ans Licht geholt zu werden. Je reicher der Bauer, umso größer fiel die Mitgift der Töchter aus. Oftmals wurde über Jahre bei jeder Ernte Flachs für die Brauttruhe weggelegt und so füllten sich die einfachen Holzkisten unter den Augen der heranwachsenden Mädchen. War nur eine Truhe Brautgut, wurde der Platz säuberlich geteilt, um Raum zu schaffen für Leinen und Zöpfe. Ein schmales Abteil im inneren der Truhe verbarg Geldgeschenke, Schmuck oder auch ein kleines Gebetsbuch sicher vor allzu neugierigen Augen. Der Langflachs selbst wurde dicht auf dicht in die Truhen geschlichtet, um möglichst viel Material unterzubringen. 60 bis 80 Kilo Fasern kommen so zusammen.

Punkvolle Verzierung

Die letzte Lage wurde schließlich prunkvoll geschmückt. Papierblumen – ebenfalls von Müttern, Schwestern, FreundInnen gebunden- wechselten sich mit Heiligenbildern, Ringkissen, Wachsstöcken oder Engelsoblaten ab und irgendwo zwischen all den Schätzen wartete auch der bis heute heiß begehrte Leinenzwirn auf seinen Einsatz.

Aber nicht jede Truhe durfte den Weg am offenen Wagen durchs Dorf auch wirklich antreten. Viele Bauernhäuser verbergen Truhen von mehreren Generationen von Frauen. "Tanten" also unverheiratete Töchter, die in Kriegszeiten und danach keinen Ehemann gefunden hatten blieben als Mitarbeiterinnen am Elternhaus, zusammen mit ihren Brauttruhen. Mädchen, die ins Kloster geschickt wurden, nahmen ihre Truhen oft auch nicht mit, wenn es auch Überlieferungen von Konventen gibt, wo die Novizinen sehr wohl mit ihren textilen Schatzkisten anreisten.

Was noch vor 80 Jahren ein Schatz war, ist heute für die Nachkommen oft eine Last. Langflachs , so schön er auch sein mag, ist für Menschen, die nicht Flachs spinnen völlig nutzlos und noch dazu wenn man nicht einen Zopf sondern mehrere hundert Kilo aus verschiedenen Generationen am Dachboden stehen hat. Sich zu trennen fällt trotzdem nicht leicht, war es doch oft das liebevoll gehegte eigene Erbe oder das der Mama oder Oma. Noch können manche Frauen im Mühlviertel davon erzählen, wie ihre Flachstruhe ins neue Zuhause gefahren wurde und erinnern sich lächelnd an die Musik und die herumspringenden Kinder. In nicht allzu ferner Zukunft werden diese Geschichten nur mehr nacherzählt werden. Wandern die Truhen dann auf die Deponie, geht mit ihnen ein Teil der Frauengeschichte des Mühlviertels verloren.


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